Geopolitische Szenarien bieten auch Chancen

Mittwoch, 31. Januar 2024

Marktkommentar

Geopolitische Szenarien bieten auch Investmentchancen


Eine Vielzahl an aktuellen Herausforderungen und Krisen analysierte Anna Rosenberg, Head of Geopolitics am Amundi Investment Institute, auf der jüngsten Amundi Outlook Investment Konferenz. Warum die Auswirkungen des Nahost-Konflikts bald auch die globale Wirtschaft betreffen könnten, erläuterte die renommierte Expertin im ausführlichen Interview ebenso, wie die Gründe dafür, dass Geopolitik für die Finanzmärkte stetig an Bedeutung gewinnt.

    
  

Frau Rosenberg, bis vor nicht allzu langer Zeit hieß es „Politische Börsen haben kurze Beine“. Gilt diese These auch heute noch?

Durch die Globalisierung und den hohen Grad der internationalen Vernetzung der Märkte hatte dieses Bonmot seit Jahren bereits an Bedeutung verloren. Spätestens seit der Pandemie ist der Stellenwert geopolitischer Analysen für Investoren stark gestiegen. Die Zahl der Ereignisse, die sich auf die globale Anlagestrategie von Asset Managern auswirken, hat ebenso zugenommen wie deren Relevanz.

Sehen wir derzeit eine Weltordnung im Umbruch?

In der Tat, allerdings halte ich die häufige Beschreibung einer neuen Bipolarität – zwischen den USA und China – für zu oberflächlich. Ich würde vielmehr von einer neuen Komplexität sprechen. Wir sehen den Aufstieg starker Mittelmächte, etwa Indien oder Brasilien, die sich keinem der beiden Lager zuordnen lassen, vielmehr dazwischen ihren Vorteil suchen. Das führt zu mehr Protektionismus und auch dem stärkeren Ausnutzen von natürlichen Ressourcen für den Erfolg politischer Verhandlungen. Häufige Sanktionen und die Zunahme von Wirtschaftskriegen sind die offensichtlichen Folgen. Damit steigt auch die Gefahr „heißer Kriege“. Dieser Entwicklung geht aktuell eindeutig zu Lasten der USA und des verbündeten Europas.

Wie sollten Asset Manager auf diese Entwicklung reagieren?

Investoren müssen zwangsläufig unterscheiden lernen, welche Entwicklungen für die Märkte relevant sind und welche nicht. Geopolitische Analysefähigkeit kann dabei helfen, quasi „Geräusche“ und echte Verschiebungen im bestehenden Gefüge zu erkennen. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, denn grundsätzlich bieten geopolitische Szenarien immer auch Investmentchancen, die Kapitalanleger gezielt nutzen könnten.

Wenn wir auf die Krisenherde der Welt blicken, welcher ist dann aktuell „on top“?

Das kann sich erfahrungsgemäß schnell ändern, aber einer für die Märkte sehr relevanten Konflikte ist sicherlich der in Nahost. Denn in unserem „Basisszenario" ist der Krieg zwar zuerst einmal eine geografisch limitierte Sicherheitskrise. Doch sollten beispielsweise die Huthi-Rebellen mit ihrer Unterstützung der Hamas noch länger für Unsicherheit im Roten Meer sorgen, könnten die dauerhaft längeren Transportwege der Schifffahrt zur Belastung der Weltwirtschaft werden. Das könnte dann wieder höhere Inflationsraten entfachen – mit allen negativen Konsequenzen für die Konjunktur.

Was ist 2024 noch wichtig?

Wir haben ein Rekordwahljahr. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist in diesem Jahr aufgerufen, eine neue Regierung zu wählen. Die Wahl in Taiwan beispielsweise hat schon negative Auswirkungen auf die chinesischen Beziehungen zu dem Eiland, das China als abtrünnige Provinz betrachtet. Mit der Wahl des chinakritischen Kandidaten ist unser Basisszenario eingetreten und damit auch die Aussicht weiter steigender Spannungen in der Region, aber auch zwischen den USA und China.

Wer könnte der nächste US-Präsident werden?

Wir geopolitischen Analysten denken in Szenarien und Wahrscheinlichkeiten. Deshalb sehen wir Trump eher im Weißen Haus, wenn es ihm gelingt, seine parteiinterne Kontrahentin Nikki Haley als Kandidatin für die Vize-Präsidentschaft zu gewinnen. Denn Haley hat die Kraft, auch über Trump moderate Wähler anzuziehen. Wenn nicht, hätte Joe Biden einige Vorteile, auch wegen seiner liberalen Position beim Abtreibungsrecht – denn seit 2022 haben die Demokraten jede Wahl gewonnen, aus Sorge der Wähler vor einem strikten Abtreibungsrecht.

Was würde ein Präsident Trump für die Beziehung zwischen den USA und Europa bedeuten?  

Trump wäre disruptiv für Europa und brächte sehr wahrscheinlich Importzölle und höhere Verteidigungsausgaben oder gar einen Rückzug der Schutzmacht aus der NATO. Die höheren Ausgaben würden zu Lasten anderer Budgetposten gehen, diese Situation wäre für Europa auch wirtschaftlich schwierig.

Wie sollte sich Europa strategisch ausrichten?

Wir haben einen großen Vorteil: Wir sitzen sozusagen in der Mitte. Europa bleibt für viele andere Länder eine attraktive Region. Gerade aus der Rivalität zwischen den USA und China ergeben sich da Vorteile, die man nutzen kann. Etwa auch hinsichtlich ausländischer Investitionen. Beispielsweise werden chinesische Investitionen in Europa sozusagen „sicherer“ sein als in den USA. Das gilt umgekehrt auch für europäische Investitionen in China im Vergleich zu den US-amerikanischen Aktivitäten. Solche Vorteile sollte Europa konsequent nutzen.

Wie könnte sich der Krieg in der Ukraine 2024 weiter entwickeln?

Wir sehen, dass die Sanktionen Russlands Stärke derzeit kaum beeinträchtigen. Das liegt zum einen daran, dass sich Russland gut auf diese Situation vorbereitet hat. Zum anderen hilft Russland die Vielzahl von Profiteuren der Sanktionen. Wir sehen derzeit kaum territoriale Veränderungen, erwarten aber eine russische Offensive, die vor allem mit Blick auf die US-Wahl und mögliche Waffenstillstandsverhandlungen eine günstige Position schaffen soll.

   

 Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 18.01.2024. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.