Nach einem Börsenjahr, das für viele Anlegerinnen und Anleger durchaus positiv verlief, naht der Jahreswechsel. Welche Chancen und Herausforderungen die Märkte 2026 bestimmen könnten, erläutert Thomas Kruse – CIO von Amundi Deutschland – im ausführlichen Interview.
 

Herr Kruse, mit Blick auf die Finanzmärkte war 2025 ein spannendes, ereignisreiches Jahr. Wie blicken Sie auf das kommende Jahr 2026?

Wir sind grundsätzlich positiv für 2026, um es genauer zu benennen „verhalten“ positiv. Mit dieser Einschränkung wollen wir eine gewisse Ambivalenz zum Ausdruck bringen. Denn einerseits gibt es einige gute Gründe, warum die Konjunktur weiter „laufen“ dürfte: Bisher zeigte sie sich sehr resilient, die Unternehmen stellen sich gut auf das neue Umfeld um, und die Profitabilität stimmt, vor allem mit Blick auf viele US-Unternehmen. Und auch die Notenbanken dürften weiter mit Zinssenkungen unterstützen. Anderseits gibt es aber auch mögliche Belastungsfaktoren oder zumindest Fragezeichen – etwa die Zollsituation, das Thema KI-Investitionen oder geoökonomische Unsicherheiten.

Könnten Sie das bitte für uns etwas vertiefen?

Das Thema Zölle ist immer noch eine große Herausforderung für viele Unternehmen. Sie müssen beispielsweise ihre Liefer-, Produktions- oder Investitionsprozesse anpassen, damit die Margen nicht weiter abschmelzen. Auch bei den KI-Investitionen nähern wir uns einem neuralgischen Punkt: Es geht nicht mehr länger nur um „bloße“ KI-Entwicklung, sondern nun immer mehr um die Frage, wo Unternehmen diese konkret anwenden und wieviel sie investieren wollen, um einen Preis- und Wettbewerbsvorteil im Markt generieren zu können. Eng mit der KI-Nachfrage und -Anwendung hängt zusammen, wie es mit den sehr hohen Bewertungen und dem damit verbundenen Übergewicht von KI- und Tech-Titeln in vielen Indizes weiter geht. Wegen der US-Dominanz im KI-Feld ist ja zugleich auch der Anteil der Vereinigten Staaten in den globalen Börsenbarometern – etwa dem beliebten MSCI World-Index – enorm angestiegen. Entsprechend gibt es hier ein gewisses Enttäuschungspotenzial, sollte nicht alles nach Plan verlaufen.

Und welche geopolitischen bzw. geoökonomischen Unsicherheiten würden Sie hervorheben?

Für uns in Europa ist von besonderer Bedeutung, dass sich die USA aus den einstmals engen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verflechtungen des Westens zurückziehen. Wir sind hier herausgefordert, selbst für Autonomie zu sorgen. Und das betrifft natürlich auch die Unternehmen.

Das Thema Inflation bereitet Ihnen keine größeren Sorgen mehr?

So absolut kann man das natürlich nicht sagen, die Inflationsentwicklung bleibt eine Schlüsselfrage. Anfang des Jahres hat man für die USA mit 2,3% Preisauftrieb gerechnet. Mit den hohen Zollsätzen muss man nun aber abwarten, was davon am Ende beim Konsumenten ankommt. Aktuell liegen wir bereits bei 3,0% höheren Preisen. Mit diesem Wert rechnen wir übrigens auch für das gesamte Jahr 2026. Allerdings könnte es gut sein, dass wir im ersten Halbjahr etwas höhere Werte sehen, die dann in der zweiten Hälfte abfallen dürften. Bei dieser dann positiven Tendenz erwarten wir für 2027 wieder eine recht moderate Inflation von 2,2%.

Was bedeutet das für die Politik der Notenbanken?

Die Fed hat also momentan die Herausforderung, wegen der zwischenzeitlich höheren Inflation die Zinsen nicht senken zu können, und es zum Anschub der Konjunktur sowie der Wirtschaft eigentlich tun zu „müssen“. Perspektivisch rechnen wir dennoch mit drei weiteren Zinssenkungen, der ersten eventuell bereits noch im Dezember. Für die EZB sieht das Szenario ganz anders aus: Es zeigt sich, dass viele chinesische Waren, die eigentlich in den USA verkauft werden sollten, nun auf den europäischen Markt drängen. Die Folge ist, dass die Inflation sogar unter den EZB-Zielwert von 2% fallen könnte – wir rechnen für 2026 konkret mit 1,7% Inflation. Deshalb hat die EZB die Chance, die Zinsen in 2026 nochmals senken zu können. Wir rechnen hier im ersten Halbjahr 2026 mit zwei Zinsschritten nach unten, um die europäische Wirtschaft anzukurbeln.

Wie könnten sich Anlegerinnen und Anleger in diesem Umfeld positionieren?

Angesichts zeitgleich bestehender Chancen und Risiken betrachten wir derzeit ein breit über Anlageklassen sowie Regionen gestreutes Portfolio als gute Basis, dem man zur weiteren Absicherung auch Alternative Assets beimischen könnte. Ein leichtes Übergewicht von Aktien sollte aber nicht nur zugunsten der bereits überbewerteten KI- und Tech-Titel gehen, sondern bewusst auch in andere Segmente. Europas Fiskalimpulse wirken sich derzeit eher schleppend aus, das könnte sich aber in 2026 noch ändern und auch Emerging Markets hätten Potenzial – vor allem wegen des schwachen US-Dollars. Wegen eines möglichen Währungsgewinns sehen wir auch europäische Staatsanleihen im Vorteil. Bei den Alternative Assets denken wir etwa an die eher institutionellen Bereiche Infrastrukturfonds oder Private Debt, aber auch an sogenannte ELTIFs 2.0, die auch für Privatanleger geeignet sind. Diese ermöglichen es seit kurzem, unkompliziert von den Chancen nicht börsennotierter Unternehmen in den sogenannten Privatmärkten zu profitieren.

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 04.12.2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.