Auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz am 25. September analysierte Prof. Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, aktuelle Handelsbarrieren und neue Allianzen. Wie Europas Zukunft im globalen Wettbewerb zu bewerten ist, erläuterte der international renommierte Volkswirt im ausführlichen Interview.

Herr Prof. Felbermayr, wo stehen wir momentan im globalen Freihandel?

Wir befinden uns offensichtlich in einem Zeitalter, in dem der Protektionismus grassiert. Der Trend hierzu begann schon deutlich vor der Coronakrise, konkret infolge der Finanzkrise 2007/2008. Den sprunghaften Anstieg restriktiver handelspolitischer Maßnahmen zu Beginn der Pandemie toppen wir vermutlich heuer mit einer Rekordanzahl neuer Maßnahmen. Die gute Nachricht ist aber, dass das Handelsvolumen weltweit nach der deutlichen „Coronadelle“ des Jahres 2020 und trotz Trumps erratischer Zoll-Agenda weiterwächst und sich somit recht resilient zeigt.

Gilt das auch für Europa?

In der differenzierten Betrachtung ergibt sich für die Handelsmengenindizes der letzten 12 Monate ein Bild, das man so zusammenfassen könnte: USA volatil, China stark und Europa schwach. Aber auch dieser Status folgt einem Trend, den wir schon länger beobachten: Noch 1995 war die EU der globale Handels-Hegemon, gefolgt von den USA. Heute ist China für die meisten Länder der Welt der Top-Handelspartner, die EU liegt noch in greifbarer Nähe auf Platz 2, während die USA relativ abgeschlagen auf dem dritten Rang stehen. Bedenken Sie, die USA machen nurmehr 15% des Welthandels aus. Die Bedeutung des globalen Südens hat in den letzten Dekaden stark zugenommen.

Nicht nur bei den Volumina haben sich Verschiebungen ergeben – auch die Intentionen, die sich mit Handelspolitik verbinden, haben sich verändert. Inwiefern?

Die Handelspolitik wird immer mehr zum Vehikel der Machtpolitik. In der Breite wurde das in Europa erst im Zuge des Ukraine-Russland-Krieges erkannt. Ursprünglich hielten viele den Welthandel für nur positiv – das ist aus heutiger Sicht etwas naiv gewesen. Nun befinden wir uns eher in einer Turnierlogik, in der Handel auch als Waffe eingesetzt wird. Aber Kooperation erfordert das Vertrauen, dass Macht nicht opportunistisch missbraucht wird. Leider gilt dieser Leitsatz für die USA auch nicht mehr uneingeschränkt gegenüber Verbündeten des Westens – etwa der EU.

Was will die Trump-Administration mit ihrer Zoll-Agenda eigentlich erreichen?

Ganz genau wissen wir es nicht, weswegen wir letztlich hier Mutmaßungen anstellen müssen. So könnten die Zölle Druckmittel zum Abbau von Handelshemmnissen oder für andere Zugeständnisse sein – etwa bei der Migration oder im Bereich Rüstung. Denkbar wäre auch die Funktion als Schutzmauer für die US-Industrie, etwa zur Stabilisierung der Auslandsverschuldung. Auch als Einnahmequelle für den Staat wurden die Zölle, etwa von Trump-Berater Peter Navarro, ins Spiel gebracht – doch ob zur Budgetsanierung oder für Steuersenkungen bleibt offen. Oder will Trump strategische Rivalen mit Zöllen klein halten? Wahrscheinlich spielen all diese Intentionen eine gewisse Rolle. Auffallend ist jedoch, dass bei den Zielen gewisse Inkonsistenzen und Widersprüche zu erkennen sind.

Wie wirken sich nun die konkreten Zölle seit dem 2. April auf Europa aus?

Simulationen zeigen, dass sie sich im Grunde kaum auf das reale BIP der EU auswirken dürften. Andere Länder – kurioserweise neben China oder Kanada auch die USA selbst – treffen die Zoll-Zuschläge härter. Das könnte Europa also sogar relative Marktchancen erschließen. Doch die Abschottung der USA dürfte gerade auf Deutschland auch einen deindustrialisierenden Effekt haben. 

Wie müsste die EU ihre Handelspolitik nun in Zeiten massiver Unsicherheit ausgestalten?

Sie sollte sich zuallererst auf ihre „Trade Intelligence“ besinnen, die sie unzweifelhaft noch innehat. Dann müsste sie das Bonmot „Size Matters“ beherzigen und den EU-Binnenmarkt weiter stärken – allerdings nicht nur verbal mit leerem Gerede. Auch glaubwürdige Eskalationsdrohungen könnten ein sinnvolles Mittel sein, allerdings bräuchte es hier auch einen gewissen Mentalitätswandel. Gestaffelte oder zweigleiseige Ansätze brächten mehr Verhandlungsspielraum, und auch unorthodoxe Maßnahmen wie Ausfuhrzölle oder Ausfuhrbeschränkungen sollten in der aktuellen „Turnierlogik“ kein Tabu mehr sein. Auch die Themenverknüpfung bei Verhandlungen – etwa bilaterale Beziehungen versus makroökonomische Ungleichgewichte versus Sicherheitsausrichtung – könnte Vorteile bringen.

Da die autarke Industrieproduktion im Krisen- oder Kriegsfall eine besondere Rolle spielt: Sollte die EU auch hier aktiv werden?

Industriepolitik ist ein gefährliches Werkzeug der Geopolitik. Zudem besteht immer die Gefahr staatlicher Übergriffigkeit oder des Abgleitens in Staatskapitalismus. Deshalb sollte man hier umsichtig vorgehen und auch strikt priorisieren. Doch staatliche Finanzierung strategischer Innovationen und deren Skalierung scheinen derzeit ebenso sinnvoll wie die Nutzung multinationaler Unternehmen als Netzwerkknoten, die Dominanz ausüben können. Auch die militärische Aufrüstung sollte die EU ausnutzen und industrielle Kapazitäten sichern – auch wenn das kostspielig werden dürfte. Was noch wichtig wäre: Die EU sollte ihre Anstrengungen im Kampf um die globalen Talente deutlich verstärken, um die Industrie mit qualifizierten Fachkräften zu unterstützen. 

Hinweis: Für die nächste Amundi Outlook Investment Konferenz am 21.01.2026 mit spannenden Gästen können Sie sich gerne unter www.amundi-events.de anmelden. 

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