Viele Anleiheinvestoren kehren den USA gerade den Rücken und wenden sich verstärkt Europa zu. Die Gründe dafür sind vielfältig, betont Tugrul Kolad, Head of Fixed Income bei Amundi Deutschland. Im ausführlichen Interview erläutert der renommierte Anleihenexperte, wie private Anleger kurz- und mittelfristig auf dieses Szenario des Wandels reagieren könnten.

Herr Kolad, Donald Trump drängt die US-Notenbank Federal Reserve, ihre Leitzinsen weiter abzusenken. Warum?

In der Tat hätte der US-Präsident lieber heute als morgen eine deutliche Zinssenkung, am besten gleich um ein Prozent. Doch hier gehen die Sichtweisen zwischen ihm und Jerome Powell deutlich auseinander. Der Notenbankchef ist da natürlich vorsichtiger, denn der US-Arbeitsmarkt läuft aktuell gut, die Arbeitslosenquote ist niedrig, Löhne und Gehälter steigen nach wie vor. Auch die Verbraucherinflation ist mit 2,8% gut im Rahmen und bewegt sich weiter auf die 2-Prozent-Marke zu. Somit ist das Thema Zinssenkung wohl eher eine Timing- als eine Grundsatz-Frage zwischen Trump und der Fed. Jerome Powell will wohl noch die Auswirkungen der Zölle auf die Inflation abwarten bevor er die Leitzinsen mutmaßlich weiter absenkt.

Mit welchem Kurs rechnen Sie?

Wir von Amundi gehen davon aus, dass die Fed die Leitzinsen bis zum Jahresende in drei Schritten um insgesamt 0,75 Prozentpunkte senken wird. Allerdings dürfte der erste Schritt hierzu nicht mehr vor der Sommerpause erfolgen, sondern erst im September.

Wie wichtig sind diese Zinssenkungen eigentlich für Donald Trump? 

Kurz gesagt: sehr wichtig. Seine Berater melden ihm, dass sich die konjunkturellen Aussichten für die USA perspektivisch eintrüben. Wir rechnen für dieses und das nächste Jahr nur mit 1,6% BIP-Wachstum. Da kämen Trump wirtschaftliche Impulse gerade recht. Zudem spielt die Staatsverschuldung eine wichtige Rolle. Während Bidens Amtszeit wurde die staatliche Refinanzierung hauptsächlich über kurzlaufende Anleihen gestaltet. Rund die Hälfte der US-Schulden werden in den nächsten zwei Jahren fällig, für 2025 sind es 24%. Das heißt, auch eine geringere Zinslast hätte eine deutlich entlastende Wirkung für Trumps Haushalt, denn rund 3% des BIP fließen aktuell in Bedienung der laufenden Zinsen. 

Momentan sehen wir, dass große Kapitalmengen aus den USA abfließen, beispielsweise nach Europa. Das spiegelt auch der im direkten Vergleich mit dem US-Dollar jüngst erstarkte Euro. Beobachten auch Sie diesen Kapitalwechsel?

In der Tat erkennen wir diesen Trend auch bei unseren Kunden. Das hat auch plausible Gründe. Wir dürfen nicht vergessen, dass der US-Dollar eine Reservewährung ist. Da haben die Unsicherheiten der letzten Monate – vor allem Trumps erratische Zollpolitik sowie seine Einflussnahmen auf die Fed – für enorme Unsicherheit gesorgt. Die Unzufriedenheit der Handelspartner der USA lässt den Stern Europa nun natürlich heller strahlen. Infolge steigt die Nachfrage nach europäischen Anleihen, nach Bundesanleihen oder auch nach europäischen Aktien. Rückenwind kommt dabei auch von den avisierten europäischen und deutschen Fiskalpaketen und den Mitteln für Militär und Infrastruktur. 

Was ist denn in Europa so anders, dass es nun wieder attraktiv als Standort ist?

Ich würde als eine der Gründe die EZB nennen, die seit der Finanzkrise genug Instrumentarien geschaffen hat, den Finanzstandort stabil zu halten. Darüber hinaus haben wir hier viele Förderprogramme, etwa für Künstliche Intelligenz oder Robotik, wie auch erwähnt Verteidigung und Infrastruktur – das alles sorgt für positive Aussichten für Anleger.

Was bedeutet das konkret für das individuelle Portfolio?

Man sollte nach der Fristigkeit unterscheiden: Kurzfristig sind für Investoren in Anleihen oder Anleihefonds die US-Märkte wegen der Aussichten auf Zinssenkungen noch im Vorteil. Die EZB hat ihre Hausaufgaben hier bereits größtenteils erledigt. Wer aktuell mehr Prämie erreichen möchte, könnte auch über Unternehmensanleihen nachdenken, die einen höheren Risikoaufschlag bieten. Mittelfristig dürften generell allerdings die europäischen Märkte wegen ihrer Stabilität im Vorteil sein. 

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 16.06.2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.