Auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz am 25. September analysierte Amundi Deutschland CIO Thomas Kruse die aktuellen Finanzmärkte. Warum europäische Aktien neue Chancen bergen und welche Impulse Deutschland durch die Fiskalpakete erwarten darf, erläuterte der renommierte Chefstratege im ausführlichen Interview.
Herr Kruse, warum ist nun „Zeit für Europa“?
Das Motto der jüngsten Amundi Investment Konferenz bezieht sich darauf, dass Europa im aktuellen geopolitischen Wandel gerade seine globale Rolle neu definiert. Das birgt besondere Chancen, politisch wie wirtschaftlich, aber auch für Investoren. Denn die europäischen Finanzmärkte sind im Vergleich mit den amerikanischen derzeit günstig bewertet. Zudem hatten wir gerade in Deutschland, dem größten und stärksten EU-Land, einen Regierungswechsel mit enormen Fiskalpaketen für die Bereiche Verteidigung, Infrastruktur und Erneuerbare Energien. Das könnte starke Impulse für Wachstum setzen.
Warum spürt man davon aktuell wenig positive Stimmung in der Wirtschaft und an den Börsen?
Zu Beginn des Jahres haben wir sehr wohl Stimmungsindizes steigen sehen und auch die deutschen und europäischen Börsen verzeichneten hohe Zuflüsse und Kurse. Doch über den Sommer schwächelte diese Entwicklung, wie man am mageren Potenzialwachstum, an den Börsenständen oder dem nun wieder gesunkenen ifo-Geschäftsklima-Index sehen konnte. Die Zurückhaltung hatte auch plausible Gründe, denn die Politik kommt nur langsam ins Handeln und auch die Zollthematik sorgte für Verunsicherung.
US-Aktien haben sich nach den Verlusten am Jahresanfang auch wieder recht gut entwickelt, die Gewinnerwartungen der US-Unternehmen steigen. Wie passt das ins Bild?
Ein gutes Beispiel, das man differenziert lesen sollte: Ein guter Teil der hohen Gewinnerwartungen ist Währungseffekten geschuldet. Der abwertende US-Dollar hat teilweise die Umsätze exportorientierter US-Unternehmen in Euro angekurbelt und so zu Währungsgewinnen geführt. In Europa wirkt der starke Euro dann natürlich genau umgekehrt und belastet Geschäft und Gewinnprognosen, die für 2025 gerade mal bei 1% liegen.
Werden die USA der EU in Sachen Wirtschaftswachstum wieder davonziehen?
Damit rechnen wir nicht, eher damit, dass sich die Schere zwischen beiden schließen wird. Im nächsten Jahr dürften die USA nicht zuletzt wegen der restriktiven Zollvereinbarungen nur noch bei einem Plus von 1,6% liegen, die EU bei rund 1,2%. Da lagen wir die letzten Jahre deutlicher auseinander. Insofern dürfte auch die günstige Bewertung europäischer Märkte noch ein starkes Argument werden.
Könnte nicht die Fed mit weiteren Zinssenkungen für stärkeres Wirtschaftswachstum sorgen?
Die US-Notenbank steckt derzeit in einem Dilemma zwischen Inflation und mauer Konjunktur. Aktuell sehen wir beispielsweise einen deutlichen Einbruch bei der Zahl neu geschaffener Stellen. Sind die Monate April bis Juni bereits um -250.000 nach unten korrigiert worden, lag auch der August Report mit nur 22.000 deutlich unter den Erwartungen. Das führt zu Belastungen im Arbeitsmarkt. Deshalb dürfte sich die Fed in der Tat künftig mehr auf das Wirtschaftswachstum als die Inflation konzentrieren, obwohl andere Konjunkturindikatoren durchaus noch robust sind.
Sollten sich Anleger nun für Europa oder die USA entscheiden?
In Anlagefragen geht es selten um entweder oder, vielmehr um Gewichtung. Ein diversifiziertes Portfolio mit US-amerikanischen und europäischen Titeln ist immer noch eine gute Basis für viele Investoren. Ob der Anteil für die USA wie im MSCI World-Index aber bei 70% liegen sollte, das ist die Frage. Auch bei sehr hoch bewerteten Sektoren, wie den KI- und Tech-Titeln aus den USA, kann kompletter Verzicht keine Lösung sein. Besser bewusst gewichten, also den USA-Anteil eher verringern und eventuell Korrekturen selektiv zum Kauf nutzen.
Wie steht es generell um Anleihen?
Auch diese gehören in ein gemischtes Portfolio, zumal das Anlegen mit Anleihen wieder interessanter ist, seit die Zinsstrukturkurve sich wieder normalisiert hat. Sie ist nun deutlich steiler und das wird sich voraussichtlich auch nicht so schnell ändern – das lange Ende bleibt relativ attraktiv verzinst.
Sehen Sie hier Risiken aus den weiter steigenden Staatsschulden?
Mit Blick auf Deutschland würde ich sagen wir stehen mit aktuell 63% und perspektivisch – wegen der Fiskalpakete – möglichen 80-82% immer noch ganz gut da, wenn man das mit anderen Industrieländern vergleicht. Doch ob aus der Verschuldung am Ende Wachstum wird, liegt maßgeblich daran, ob die Politik hier bald konkrete und gute Entscheidungen trifft.
Was denken Sie über Euro-Unternehmensanleihen?
Wir sehen in der Anlageklasse immer noch viel Positives, doch die Spreads laufen nun deutlich zusammen. Deshalb haben wir aktuell auch unsere Übergewichtung zurückgenommen.
Sehen Sie derzeit eher europäische Growth- oder Value-Titel im Vorteil?
Diese Einteilung wenden wir bei unseren Investitionsentscheidungen kaum an, beispielsweise weil Wachstumswerte und große Tech-Werte völlig verschiedene Bereiche sind. Generell schauen wir aktuell eher, welche Unternehmen von der Zollthematik betroffen sind. Viele Large Caps sind wegen ihrer Exportorientierung davon belastet, Mid- und Small Caps weniger, was diese Titel derzeit selektiv attraktiv macht.
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 25.09.2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.