Bewältigen die USA ihr Schuldendilemma?

Montag, 25. März 2024

Marktkommentar

Bewältigen die USA ihr Schuldendilemma?


Die USA steuern auf einen beispiellosen Schuldenstand zu, der die historischen Höchststände der Nachkriegszeit übersteigen wird. Schätzungen zufolge könnte die Verschuldung der öffentlichen Hand von derzeit 26 Bio. US-Dollar bis 2034 auf über 48 Bio. US-Dollar anwachsen. In einer Zeit, in der ein Rückgang der Inflation erwartet wird, hat die Frage der Haushaltskonsolidierung für die US-Politik keine Priorität. Zudem ist in einem Wahljahr nicht davon auszugehen, dass eine der beiden Parteien bereit sein wird, über die notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Schuldenanstiegs zu diskutieren.

 
Politischer Wille fehlt derzeit

Der Status des US-Dollar als Reservewährung und die Dominanz der USA auf den globalen Kapitalmärkten sichern dem US-Finanzministerium auch bei einer Rekordverschuldung den Zugang zu den Märkten. Steigende Realzinsen werden jedoch den Anteil an den Steuereinnahmen vergrößern, der für den Schuldendienst aufgewendet werden muss. Beachtliche Haushaltsdefizite könnten die Inflation hoch halten; Schulden und Defizite das Wachstum beeinträchtigen.

Historische Daten deuten darauf hin, dass nur eine geringe Korrelation zwischen dem Angebot an US-Treasuries und deren Zinssatz besteht. Bei einer künftigen Rekordverschuldung ist dies jedoch möglicherweise nicht mehr der Fall. Anders als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deuten die aktuellen Prognosen nicht auf eine Zukunft mit außergewöhnlichem Wachstum hin, die die Schuldenquote verringern könnte. Diese Situation und der fehlende politische Wille beider Parteien zur Haushaltsanpassung finden bei den Rating-Agenturen regelmäßig Beachtung1. Das Ende der Ära niedriger Finanzierungskosten für die US-Regierung zeichnet sich möglicherweise ab.

Negativer Einfluss auf private Investitionen

Ein Land kann seine Schulden nachhaltig finanzieren, wenn sich die Schuldenquote nach den Berechnungen mittel- bis langfristig auf einem vertretbaren Niveau stabilisieren wird. Der Spielraum für öffentliche Ausgaben hängt davon ab, welcher Anteil an den Steuereinnahmen für den Schuldendienst gebraucht wird und in welchem Verhältnis die Kosten der Schulden zum BIP stehen. Hinzu kommt: Wenn Defizit und Schulden tatsächliche Zinssätze und die Markterwartungen im Hinblick auf künftige Zinssätze steigen lassen, kann dies private Investitionen negativ beeinflussen und so das Wachstum in der Zukunft abschwächen.

Die Entwicklung des Schuldenstandes wird von seinem Ausgangswert, den Zinskosten und der Differenz zwischen den Zinskosten und der Wachstumsrate der Wirtschaft mitbestimmt. Sind die Zinskosten höher als die Wachstumsrate, reichen die Steuereinnahmen eines Staates nicht mehr aus. Er muss zum Ausgleich einen primären Haushaltsüberschuss erzielen. Mit steigenden Zinssätzen müssen immer umfangreichere Primärüberschüsse erwirtschaftet werden, um das Verhältnis zwischen Schulden und Brutto-Inlands-Produkt (BIP) stabil zu halten.

170 % Verschuldung bis 2054?

Das US Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert angesichts der Untätigkeit der Politik einen jahrzehntelangen ständigen Anstieg der Schuldenquote von heute knapp 100 % auf über 170 % im Jahr 20542. Das Verhältnis zwischen Zinskosten und Einkünften wird voraussichtlich von 15 % auf 31 % zunehmen, während der Anteil der Zinskosten am BIP bis zum Zeitraum 2045-2054 von 2,4 % auf fast 6 % steigen wird. Für eine langfristig tragbare Verschuldung wäre dann ein unwahrscheinlich starkes Potenzialwachstum erforderlich, das von ebenso unglaubwürdigen Steigerungen des Produktivitätswachstums oder von einem noch abwegigeren durchgängigen und dauerhaften niedrigen Niveau der Realzinsen abhängt.

Ansonsten können sich die USA nur durch Haushaltsanpassungen aus ihrem Dilemma befreien. Da die Ausgaben für die Sozialversicherung und das Gesundheitswesen bereits einen sehr großen Teil der öffentlichen Pflichtausgaben ausmachen und aufgrund der demografischen Entwicklung weiter ansteigen werden, ist es unvermeidlich, dass die Anpassung sowohl Steuererhöhungen als auch Ausgabenkürzungen und wahrscheinlich zudem eine Anhebung des Renteneintrittsalters umfasst.

Höhere Kapitalertragssteuern und indirekte Steuern auf den Verbrauch könnten die wachstumsfreundlichste Art der Einnahmenerhöhung sein. Darüber hinaus würde eine wirksamere Unternehmensbesteuerung helfen.

Konsolidierung: schrittweise oder abrupt?

Abhängig von der politischen Machbarkeit und der Geduld der Märkte könnte der Haushalt auf verschiedene Weisen konsolidiert werden. So könnten Maßnahmen nur allmählich über einen langen Zeitraum ergriffen werden. Der Auslöser wäre in diesem Fall eine schrittweise Erhöhung der Renditen über mehrere Jahre aufgrund eines steigenden Angebots und des innenpolitischen Drucks auf finanzpolitische Kompromisse. Dadurch stünden weniger Mittel zu Erfüllung staatlicher Aufgaben zur Verfügung. Die Rating-Agenturen würden gleichzeitig die USA weiter herabstufen, was von globalen Fondsmanagern kritisch gesehen würde. Angesichts dieser Umstände würde die Haushaltskonsolidierung in der Politik an Dringlichkeit gewinnen und in der Öffentlichkeit auf mehr Verständnis stoßen. In diesem relativ günstigen Szenario würde der politische Konsens zu allmählichen, aber entschlossenen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen führen.

Defizitsenkende finanzpolitische Maßnahmen könnten auch aus einer Zwangslage heraus abrupt eingeführt werden. Dabei könnten die Märkte ihr Vertrauen verlieren. Oder ein Ereignis in den USA würde ein umfangreiches und teures fiskalisches Handeln erfordern, wie beispielsweise die jüngste Pandemie. Wegen der hohen Ausgangsverschuldung müsste die Politik mit glaubwürdigen, langfristigen Konsolidierungsmaßnahmen reagieren, die die Märkte beruhigen.

Allmählich steigende Renditen, die einen Anreiz für eine stufenweise Anpassung bieten, wären für die Märkte angenehmer, während eine abrupte Anpassung einen schnellen Anstieg der Renditen und größere Störungen an den Kapitalmärkten mit sich bringen würde, die erhebliche globale Auswirkungen hätten.

USA bleiben attraktiv

US-Staatsanleihen werden unserer Ansicht nach ihren Status als sichere Anlage und ihre zentrale Rolle auf den Finanzmärkten weltweit behalten. Kurz- bis mittelfristig erwarten wir, dass das US-Finanzministerium auf den Druck der Märkte hin verstärkt von langfristigen Anleihen auf eine kurzfristige Finanzierung durch US-Treasury Bills (T-Bills) umschwenkt. Die US-Notenbank dürfte angesichts der steigenden Emissionen von US-Staatsanleihen wahrscheinlich ihr QT-Programm zurückfahren und ihre Bilanz ungefähr bei ihren derzeitigen Beständen an US-Staatsanleihen halten3. Längerfristig dürfte das höhere Angebot an Schuldtiteln die Laufzeitprämie erhöhen, da die Anleger und Anlegerinnen mehr Bedenken gegen längerfristige Schulden hegen werden.

 
Von Mahmood Pradhan,Head of Global Macro Economics, und Tristan Perrier, Makroökonom und Investment Insights Specialist, am Amundi Investment Institute

 
Quelleninformationen und die vollständige Publikation Can the US sustain a rising debt burden?  finden Sie in der englischen Originalfassung im  Amundi Research Center.

 
[1] Im Juli 2023 stufte Fitch die US-Staatsschulden von AAA auf AA+ herab. Im November 2023 senkte Moody's den Aussicht für das letzte AAA-Rating, das die USA von einer der drei großen Agenturen erhalten hatten, von stabil auf negativ.
[2] Die genannte US-Staatsverschuldung ist die der öffentlichen Hand. Dies schließt die von der US-Regierung gehaltenen eigenen Schulden aus und ist die Kennzahl, auf die sich die Wirtschaftsfachleute gewöhnlich beziehen.
[3] Siehe Endgame der Zentralbanken: Ein neues politisches Paradigma. Themes in depth, Amundi, Mahmood Pradhan, Lorenzo Portelli und Tristan Perrier, Oktober 2023

 
Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von dem Amundi Asset Management und sind Stand 5. März 2024 [Zeitpunkt der 1. Veröffentlichung]. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung des Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte des Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.