Ein Sommer voller Angst und Gier

Montag, 03. August 2020

Marktkommentar

Ein Sommer voller Angst und Gier


Zu Sommerbeginn haben widersprüchliche Kräfte an den wichtigsten Aktienmärkten zu einem vorübergehenden Gleichgewicht zwischen Angst (Risiko der zweiten Welle, niedrige Anleiherenditen, hohe Goldpreise) und Gier (Aktienrallye infolge der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften) geführt. Die große Frage für Investoren ist jetzt: Wie geht es weiter? 

Ein Ausblick von Pascal Blanqué, Group Chief Investment Officer, und Vincent Mortier, Deputy Group Chief Investment Officer bei Amundi.

 

Einschätzung der Aktienmärkte

Unserer Ansicht nach wird das von den Märkten eingepreiste Aufwärtsszenario durch die noch unklare weitere Entwicklung des Virus in Frage gestellt. Die frühe Begeisterung der Märkte in Bezug auf ein Coronavirus-Heilmittel könnte übertrieben sein, der Weg zu einem breit verfügbaren, wirksamen Impfstoff könnte lang sein. Zusätzliche Anreize werden erforderlich sein, um den Nachfrageverlust auszugleichen und die Schwachstellen in einigen Sektoren zu reduzieren. Die Einigung auf einen EU-Wiederaufbaufonds in der Höhe von 750 Mrd. EUR und zusätzliche fiskalische Anreize in den USA und China könnten die Marktstimmung kurzfristig stützen.

Wir sehen jedoch keinen Grund für eine aggressive Risikoerhöhung in Portfolios, sondern für einige taktische Anpassungen auf der Grundlage relativer Bewertungen. Bei Aktien wird die Gewinnsaison im zweiten Quartal ein wichtiger Test sein. Die Daten werden in diesem Quartal unschön sein, was jedoch bereits eingepreist sein dürfte, daher wird sich der Blick nach vorne richten. Die Konsensus-Schätzungen für das nächste Jahr sind sehr positiv, aber die Unternehmen bieten nur zögernd Orientierung, da das Virus noch nicht unter Kontrolle ist. Aufgrund der mangelnden Klarheit und Gewinnvisibilität ist jedoch Vorsicht geboten. 

Gebiete wie Europa, die in der Anfangsphase der Erholung nicht mehr in der Gunst der Anleger standen, dürften in dieser Aufholphase eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erzielen, wobei sich diese möglicherweise auf einige Nachzügler-Sektoren / Bereiche erstreckt (Banken oder Small Caps – Aktien kleinerer Unternehmen). Da Europa bereits weiter im Viruszyklus ist und Konjunkturindikatoren für 2021 eine starke Erholung signalisieren, dürfte die Region von der Einleitung außergewöhnlicher Sofortmaßnahmen und geringerer politischer Risiken profitieren. Auch dies ist eher eine taktische Sichtweise als eine strukturelle Neupositionierung. In Asien befindet sich China trotz der jüngsten guten Entwicklungen immer noch in der Nähe eines 10-Jahrestiefs gegenüber den USA, und es gibt Aufholpotenzial. China ist – zusammen mit Indonesien –  eines der wenigen Länder in den Schwellenländern, in denen die Konjunkturpakete dem kurzfristigen BIP-Rückgang entsprachen oder sogar stärker waren. Daher ist es eines unserer bevorzugten Länder in einem ansonsten gemischten Markt für Schwellenländer. Aber die Rallye war schnell und wild, eine Pause ist fällig.

Andererseits baut sich eine gewisse Marktübertreibung weiter auf, zum Beispiel die bessere Entwicklung des Nasdaq-Index gegenüber dem S&P 500-Index. Die Dynamik und Bewertungsdivergenz zwischen den fünf US-„Mega“-Titeln und den wachstumsstärkeren Large Caps (Standardwerten) im Vergleich zum übrigen Markt scheint extrem und sogar auf Technologieblasen-Niveaus. Und das Verhältnis Wachstumsaktien vs. Substanzwertaktien (Value) ist weltweit außerordentlich. Es ist schwierig, den Zeitpunkt für eine Umkehr dieses Trends zu bestimmen, aber aus unserer Sicht ist dies sicherlich ein Bereich, auf den man sich konzentrieren sollte.

Einschätzung der Rentenmärkte

Im Anleihe-Bereich tragen die Erwartungen eines unbegrenzten Quantitative Easing (expansive Geldpolitik) zu der großen Diskrepanz zwischen den Kernanleiherenditen und der Wachstumserholung bei. Irgendwann im zweiten Halbjahr werden die Märkte wahrscheinlich anfangen, die Vorstellung einzupreisen, dass es keine weitere Beschleunigung der unterstützenden Geldpolitik geben wird, wenn die Wirtschaft auf dem Weg der Erholung zu sein scheint. Das könnte die Kernanleiherenditen wieder etwas unter Druck setzen und zu Volatilität führen. In den USA könnten die enormen Defizitausgaben und die massiven Emissionen von Staatsanleihen das lange Ende der Zinskurve belasten. Wir glauben, dass die Zentralbanken bei der Rücknahme von geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen sehr vorsichtig vorgehen werden, um Störungen des Marktes oder der wirtschaftlichen Erholung zu vermeiden. Die Intensität der politischen Maßnahmen könnte jedoch nachlassen, und dies wird die größten Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben.

Die Suche nach Renditen bei Unternehmensanleihen und Schwellenländer-Anleihen ist die einzige Option, die den Anlegern bleibt, aber die Aufgabe wird immer schwieriger, und die Titelauswahl ist von größter Bedeutung. Eine rekordverdächtige Emission von Unternehmensanleihen geht Hand in Hand mit der Verschlechterung der Schuldnerqualität. Unternehmensanleihen von geringer Qualität stehen bereits unter Druck, wobei die Ausfallrate bei US-Hochzins-Anleihen mit CCC Rating nur wenige Punkte unter jener der globalen Finanzkrise liegt. Viele Unternehmen werden riesige angehäufte Schulden abbauen müssen, viele werden nicht überleben.

Im zweiten Halbjahr werden Fragen der Solvenz in den Mittelpunkt rücken, und die Anleger sollten über eine ausreichende Portfolio-Liquidität und Vermögenswerte von guter Qualität verfügen. In den Schwellenländern gibt es Raum für eine allmähliche Erholung: eine Chance für Investoren, die jedoch eine hohe Selektivität erfordert. Letztendlich sind die Inflationserwartungen immer noch nicht in den Markt eingepreist; sie sind trotz der massiven Stimulierung immer noch zu niedrig. Dies könnte eine Gelegenheit darstellen, jede Neubewertung der Markterwartungen zu nützen.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Anleger nur wenig Einblick in die Zukunft haben und darauf vertrauen, dass sich die Rallye mit geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen fortsetzen wird. Dies sind keine perfekten Bedingungen, um ein starkes Risiko einzugehen. Wir bevorzugen Besonnenheit: Eine gute Dosis Vorsicht ist es, die den Menschen hilft, Gefahren zu überwinden – dieser Ansatz funktioniert in aller Regel auch bei Investitionsentscheidungen gut.

Quelleninformationen und die vollständige Publikation "Global Investment Views August 2020" finden Sie in der englischen Originalfassung im  Amundi Research Center  zum Download.

Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 24.07.2020. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.