“Italiens Wirtschaft zeigt sich resilient”

Montag, 06. Februar 2023

Marktkommentar

“Italiens Wirtschaft zeigt sich resilient”


Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, war eines der am stärksten vom Ukraine-Konflikt betroffenen europäischen Länder. Monica Defend, Leiterin des Amundi-Instituts und Expertin für die Märkte in ihrem Heimatland, sieht die Wirtschaft jedoch widerstandsfähig und Italien auf einem guten Weg, einige strukturelle Schwächen zu überwinden. Auf der Amundi Outlook Investment Konferenz erläuterte sie, warum die Situation in Italien auch den Handlungsspielraum der EZB bei der Inflationsbekämpfung nicht maßgeblich einschränkt.

 

Frau Defend, Italien leidet derzeit unter einer relativ hohen Verschuldung und kämpft besonders mit den steigenden Leitzinsen. Wie bewerten Sie die italienische Wirtschaft, insbesondere vor dem Hintergrund der Energiepreiskrise?

Lassen Sie mich ein bisschen zurückblicken: 2022 war anfangs schwierig, insbesondere weil Italien ungefähr 40% der Gaslieferungen aus Russland bezogen hat. Doch im Jahresverlauf haben wir sichergestellt, dass unsere Gasbestände und Vorräte ausreichen, um die Industrieproduktion im Land aufrecht zu erhalten. Zudem haben dann die milden Temperaturen in diesem Winter sehr geholfen. Auch haben wir eine gewisse Resilienz in der internen Nachfrage im Privatsektor gesehen, vor allem im Bereich Konsum. Obwohl die Haushalte wegen der hohen Inflation unter einer Abnahme der Reallöhne leiden, gab es auch positive Impulse: So konnten wir mit dem Übergang der Pandemie in eine Endemie den Tourismussektor wieder öffnen, was der Konjunktur half. Und wir sehen auch eine Reihe von Reformen, die jetzt natürlich den Dienstleistungssektor beeinflussen. Ich spreche hier über Next Generation EU1 und die damit verknüpften Reformen. All das hat dazu geführt, dass wir aktuell eher positiv überrascht sind.

Wie weit ist Italien denn mit den Reformen, die Next Generation EU zur Voraussetzung für den Kapitalfluss gemacht hat?

Ende des letzten Jahres waren bereits die wichtigsten Ziele erfüllt. Natürlich gibt es noch einige Herausforderungen in Sachen Bürokratie, die gelöst werden müssen. Aber das Land scheint auf einem sehr guten Weg zu sein. Wir haben bei Amundi einen Indikator entwickelt, der einige dieser Schlüsselfaktoren messen kann. Und zwar auf der Mikroebene, um zu sehen, wie das Land bei der Umsetzung dieser Reformen abschneidet: Also etwa im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen oder bei der Bildung, aber auch bei der digitalen Transformation oder der ökologischen Wende. Unsere Analyse-Ergebnisse zeigen in die richtige Richtung. Ich glaube, dass man sich im Land sehr wohl darüber bewusst ist, dass diese Reformen umgesetzt werden müssen, und zwar so bald wie möglich und mit einer sehr guten Erfolgsquote.

Was bedeutet das aktuelle Szenario für den Ausblick auf das Jahr 2023?

Wir erwarten, dass dies ein Jahr der zwei Geschwindigkeiten sein dürfte. Zuerst wird der Fokus darauf liegen, das Kapital zu bewahren. Denn wir haben weiterhin eine Energiekrise, den Krieg in der Ukraine und Unsicherheiten bei der Geldpolitik. Zudem glauben wir, dass die Unternehmen wegen dieses Umfelds im ersten Halbjahr unter Druck bleiben und die Konjunktur leidet. Dann, während wir zur zweiten Hälfte des Jahres übergehen, erwarten wir eine Veränderung im Bereich der Inflation. Und wir erwarten auch, dass sich die Unternehmen langsam erholen werden, was erlaubt, wieder einige Aktienpositionen im Portfolio aufzubauen und auch die Chancen italienischer Anleihen zu nutzen. Wir haben ja gesehen, wie widerstandsfähig BTPs2 in den letzten Wochen gewesen sind, insbesondere die kurz und mittelfristigen. Und wir glauben, dass einige Sektoren sich sehr positiv zeigen könnten, etwa der Banken- oder auch der Luxussektor.

Dennoch bleiben die rezessive Tendenz und die hohen Staatsschulden ein gewisses systemisches Risiko, oder?

Unser Verschuldungsgrad im Vergleich zum BIP lag 2019 bei 134%, ist dann natürlich im Zuge von Pandemie und Ukraine-Krieg gestiegen wie in allen Ländern und liegt jetzt im Bereich unter 150%. Insgesamt haben sich aber politische Maßnahmen, wie das Transmission Protection Instrument TPI oder das Programm Next Generation EU, von denen Italien besonders profitiert, für das Land sehr positiv ausgewirkt. Wenn man beispielsweise zurückblickt und sich die Spanne von BTP versus Bund3 ansieht, stellt man fest, dass der italienische Anleihemarkt äußerst resilient war. Und zwar nicht nur heute, sondern bereits auch zum Zeitpunkt der Wahlen im letzten Jahr. Deshalb und weil der Hauptschuldner Italiens die EZB ist, glauben wir auch nicht, dass der hohe Schuldenstand Italiens ein systemisches Risiko darstellt.

Kein systemisches Risiko also, aber schränkt die Verschuldung Italiens nicht die Handlungsfähigkeit der EZB bei der Inflationsbekämpfung ein?

Diese Frage möchte ich etwas allgemeiner beantworten. Zuletzt waren einige Marktbeobachter überrascht, wie sehr die EZB auf der Seite der „Falken“ – die auf eine restriktive Geldpolitik setzen – stand. Doch unsere Simulationen zeigen, höhere Leitzinsen als 4% würden das Wachstum bremsen und dennoch nicht notwendigerweise das Inflationsproblem lösen. Denn das ist ja größtenteils immer noch verknüpft mit den hohen Energiepreisen. Deshalb glauben wir, dass die EZB die quantitative Straffung sowie die Leitzinserhöhung moderat umsetzen wird. Das Leitzinsniveau, das ich skizziert habe, könnte sich Italien dann durchaus leisten. Die EZB hat also weiterhin Spielraum.

[1] Quelle: NextGenerationEU ist ein über 800 Mrd. EUR schweres, befristetes Aufbauprogramm und soll dabei helfen, die unmittelbar pandemiebedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern und die EU umweltfreundlicher, digitaler und krisenfester machen..
[2] Quelle: BTP (Buoni del Tesoro Poliannuali) = italienische Staatsanleihen
[3] Quelle: Bund = Deutsche Staatsanleihen

Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 25.01.2023. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen.  Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.