Eine Erholungsphase, aber übertriebener Optimismus

Montag, 05. Dezember 2022

Marktkommentar

Eine Erholungsphase, aber übertriebener Optimismus


Die Märkte haben sich etwas erholt in einem Jahr, das insgesamt als eines der schwierigsten für Anleger in Erinnerung bleiben dürfte. Der negative Trend kehrte sich mit Anstiegen beim S&P 500 und ausgewählten Anleihen-Indizes etwas um. Diese jüngste Marktbewegung wurde durch eine Reihe von Umständen begünstigt, die sich auf verschiedenen Ebenen abspielten:

      

 

   

1. Inflation: Die US-Inflation ist offenbar auf einem Abwärtspfad, wobei wir der Auffassung sind, dass die Marktrallye und der Optimismus übertrieben sind, da sich die US-Notenbank Fed weiterhin auf das Inflationsziel konzentrieren dürfte und es zu früh ist, um hier von einem Sieg zu sprechen.

2. Unternehmensgewinne: Die Gewinnsaison war zwar schwach, aber nicht so schlecht wie befürchtet.

3. China: Die Lockerung der Covid-Politik erfolgte früher als erwartet, aber die vollständige Wiederöffnung Chinas wird wahrscheinlich erst 2024 erfolgen.

4. Geopolitik: Die geopolitische Unsicherheit, die nach den Wahlen eine gewisse Pause eingelegt hat – in den USA gab es bei den Zwischenwahlen keine großen Überraschungen, und der Markt hat sie schnell verdaut, wobei er gut auf eine gespaltene Regierung reagiert hat, die populistische Maßnahmen verhindern dürfte. Auf internationaler Ebene ist mit weiteren Spannungen zwischen den USA und China zu rechnen. Im Vereinigten Königreich ändert der neue Premierminister den finanzpolitischen Kurs, wobei der Schwerpunkt nun auf Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen liegt.

Aufgrund dieser Entwicklungen gehen wir mit einer insgesamt vorsichtigen Haltung in das Jahr 2023, wobei wir jedoch taktisch einige kurzfristige Gelegenheiten im Rahmen eines gut diversifizierten Gesamtansatzes nutzen werden. Im Detail:

 

  • Übergreifende Perspektive: Wir haben in den letzten Wochen eine neutrale Haltung gegenüber Aktien eingenommen. Insbesondere haben wir unsere negative Haltung gegenüber europäischen Aktien zurückgenommen, während wir insgesamt aber vorsichtig bleiben und Absicherungen beibehalten. Wir haben diesen Schritt durch eine stärkere Diversifizierung, eine positive Haltung zu Öl und Gold und eine leichte Erhöhung der Duration bei US-Staatsanleihen ausgeglichen – die Duration ist ein Maß für die Zinssensitivität von Anleihen. In Anbetracht der sehr unsicheren wirtschaftlichen Aussichten sind wir weiterhin jederzeit zu Anpassungen bereit.
  • Staatsanleihen: Das "Bonds are back"-Thema wurde durch die gemäßigten Inflationsdaten unterstützt, die zu einer der stärksten Tagesrallyes in der Geschichte der US-Treasuries führten. Eine aktive Haltung hinsichtlich der Duration bleibt jedoch entscheidend. Die Märkte interpretieren jeden Hinweis auf unter den Erwartungen liegende Preisanstiege als möglichen Auslöser für eine moderatere Haltung der US-Notenbank Fed. Diese wird stattdessen aber wahrscheinlich abwarten, bis die Inflation für einige Zeit unter den Erwartungen liegt, bevor sie umschwenkt. Daher bleiben wir in Bezug auf die Duration sehr aktiv eingestellt, mit positiver Sicht auf US-Treasuries und beobachten dabei die Inflations- und Wachstumszahlen mit großer Aufmerksamkeit. Die US-Inflation wirkte sich auch auf die europäischen Kernrenditen aus, bei denen wir eine nahezu neutrale Haltung einnehmen und nach Chancen über alle Bereiche der Zinskurve hinweg Ausschau halten.
  • Unternehmensanleihen: Das Thema „Bonds are back" spielt auch bei Unternehmensanleihen eine Rolle, wobei der Schwerpunkt weiterhin auf Qualität liegt. Die Spreads (Renditeabstände) haben sich seit Mitte Oktober in den USA und vor allem in Europa eingeengt. Wir bleiben jedoch vorsichtig gegenüber risikoreichen, qualitativ minderwertigen Schuldtiteln von Unternehmen, die zu steigender Verschuldung neigen. Zwar sind die Zahlungsausfälle bei den Unternehmen derzeit stabil, und die soliden Fundamentaldaten der Unternehmen führen zu einer Verbesserung der Ratings, doch ist zu beachten, dass Ratings und Zahlungsausfälle den Wirtschaftszyklen hinterherhinken. Daher sehen wir keine überzeugenden Gründe für eine Erhöhung der Risiken. Bereits jetzt sind die Eigenmittelbestände der Unternehmen zwar immer noch robust, aber rückläufig. Dies gilt insbesondere für Emittenten mit niedrigem Rating, die in Zeiten, in denen sie das Kapital am dringendsten benötigen, Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung haben würden. Daher sind der Refinanzierungsbedarf der Unternehmen, ihre Fähigkeit, den Kapitalbedarf intern zu decken, und die Haltung der Zentralbanken entscheidende Faktoren, die wir beobachten müssen, bevor wir unsere Haltung ändern. Auf regionaler Ebene bevorzugen wir jedoch weiterhin die USA gegenüber Europa.
  • Schwellenländer: Unsere Haltung zu Schwellenländeranleihen in lokaler Währung bleibt etwas zurückhaltend, aber wir sehen Wert in Hartwährungsanleihen bestimmter Länder. Wir sind der Meinung, dass die Gelegenheit, die Risiken bei Schwellenländeranleihen zu erhöhen, noch nicht gekommen ist, da die Wende der US-Notenbank hin zu einer moderateren Geldpolitik immer noch schwer greifbar ist. Dies ist aber ein Schlüsselfaktor für die Aussichten von Schwellenländeranleihen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es jedoch Anfang 2023 aus unserer Sicht einige Einstiegspunkte geben. In China erwarten wir für 2023 eine allmähliche Wiederöffnung, deren Tempo Einfluss auf das Wachstum haben wird. In Lateinamerika sind wir in Bezug auf Brasilien vorsichtig optimistisch, das Land hat in diesem Jahr eine starke Performance unter den Schwellenländern gezeigt. Wir verfolgen jedoch genau, wie sich die Politik von Präsident Lula da Silva auf die finanzielle Position des Landes auswirkt.
  • Aktien: Auf der Aktienseite versuchen wir taktisch, Chancen zu nutzen, wobei wir uns auf die Einzeltitel-Auswahl konzentrieren. Wir sehen die derzeitige Entwicklung als eine Bärenmarktrallye. Um sie als zyklische Talsohle für Aktien zu bewerten, müssten sich die Unternehmensgewinne verbessern und die US-Notenbank ihre Geldpolitik lockern, aber so weit sind wir nach unserer Auffassung noch nicht. Unserer Ansicht nach sind die Gewinnerwartungen für das nächste Jahr in den USA angesichts zweier Einflussfaktoren – Wachstumsverlangsamung und weiterhin erstarkender Dollar – immer noch hoch. In Europa ist die Lage ebenso schwierig, denn es gibt zwar einige positive Anzeichen, aber wir müssen noch Fortschritte bei den Gewinnspannen der Unternehmen und beim Konsum sehen, bevor wir davon ausgehen, dass das Schlimmste überwunden ist. Daher bleiben wir in Europa und den USA wachsam und suchen nach Möglichkeiten in den Bereichen Value (wertorientierte Aktien), Qualität, Dividenden und Small Caps (kleine Unternehmen), insbesondere in den USA. Chinesische Aktien sind derzeit sehr volatil und hängen trotz attraktiver Bewertungen offenbar stark vom Nachrichtenfluss über die Null-Covid Politik und die Wiederöffnung der Wirtschaft ab. Wir bleiben daher neutral und sind bereit, wieder einzusteigen, wenn die fundamentalen Gewinndaten und das Wirtschaftswachstum besser bewertbar sind.

 

Von Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano, Deputy Group CIO Amundi
 

Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 27.11.2022. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen. Herausgeber: Amundi Deutschland GmbH, Arnulfstraße 124–126, D-80636 München.