Ein proeuropäischer Kurs könnte Italien neue Impulse geben

Mittwoch, 02. Oktober 2019

Marktkommentar

Ein proeuropäischer Kurs könnte Italien neue Impulse geben


Italien hat eine neue, proeuropäische Regierung. Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen im Land sind jedoch
noch nicht gelöst. Thomas Kruse, CIO Deutschland bei Amundi,
zur Lage in Italien und was Anleger jetzt wissen sollten.

 

Die neue italienische Regierung hat mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen. Die Regierungskrise endete damit, dass die Fünf-Sterne-Bewegung aus ihrem Bündnis mit der Lega, der wahrscheinlich europaskeptischsten und konfrontativsten Partei, in ein Bündnis mit der wohl proeuropäischsten Partei in Italien, der Demokratischen Partei, gewechselt hat. Giuseppe Conte wurde in diesem Zusammenhang als Premierminister bestätigt.

Die neue Koalition möchte vermeiden, angesichts der starken Präsenz der Fünf-Sterne-Bewegung und der Bestätigung des Premierministers den Eindruck zu erwecken, dass die Arbeit der vorherigen Regierung fortgesetzt würde. Deshalb bemüht sie sich, durch ein Bekenntnis zur EU und der geänderten politischen Agenda zu verdeutlichen, wie stark sie bei vielen Themen vom Programm und den Positionen der vorherigen Regierung abweicht. Dies zeigt sich vor allem bei grünen und gesellschaftlichen Politikthemen.

Die Regierung steht weiter vor großen Herausforderungen

Die neue Koalition muss sich jetzt mit Pragmatismus den Problemen der italienischen Wirtschaft zuzuwenden. Diese bestehen unverändert: Steuerhinterziehung, niedrige Produktivität, ein ineffizienter Arbeitsmarkt, das Nord-Süd-Gefälle, geringes Wettbewerbsniveau oder die hohe Abhängigkeit des Produktionssystems von Bankfinanzierungen, um nur einige zu nennen. Daher wäre es für die neue Regierung sinnvoll, jene Bereiche zu benennen, in denen eine Fortführung der bisherigen Maßnahmen gewährleistet werden sollte, um Unsicherheiten auszuräumen und die Wirksamkeit der bereits umgesetzten Maßnahmen zu verstärken. Aus unserer Sicht ist besonders bei politischen Maßnahmen zu „Industrie 4.0“-Themen zu erwarten, dass diese fortgeführt oder ausgeweitet beziehungsweise optimiert werden, was zu einem Zuwachs bei privaten Investitionen und der Produktivität führen könnte. Dies könnte es allerdings erforderlich machen, dass bisher eingeführten Maßnahmen, wie beispielsweise solche zur sozialen Integration, dem Grundeinkommen oder dem Bürgergeld neugestaltet werden müssten. Diese wichtigen Maßnahmen, entsprechend angepasst, könnten der zunehmenden Ungleichheit und Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung begegnen.

Die politischen Veränderungen wirken sich auch auf Anlagemöglichkeiten aus

Unter der neuen Regierung dürfte sich das Verhältnis Italiens gegenüber der Europäischen Union deutlich entspannen, nicht zuletzt auch in Hinblick auf Konflikte bezüglich des italienischen Haushalts. Diese Entwicklung, sowie mögliche neue wirtschaftspolitische Impulse durch die Regierung, haben aus unserer Sicht Konsequenzen für verschiedene Investitionsmöglichkeiten in Italien.
 

  • Festverzinsliche Wertpapiere
     

Trotz schleppender Aussichten für die italienische Wirtschaft haben sich andere Faktoren deutlich verbessert. Der starke Rückgang der Zinssätze wirkt sich positiv auf die Zinszahlungen aus. Da die neue Regierung der Europäischen Union konstruktiver gegenüberstehen sollte, sollte es zu einer geringeren Volatilität der italienischen Spreads kommen. Politische Risiken scheinen momentan minimal, dennoch darf man nicht außer Acht lassen, dass die derzeitige Koalition weiterhin fragil ist.

Wenn die italienbezogene Volatilität auf dem jüngsten Niveau bleibt, dürfte sich das Risiko-Rendite-Profil der italienischen Schulden deutlich verbessern und neue Investoren anziehen. Die günstigsten der italienischen Staatsanleihen sind die langfristigen 30-jährigen. Italienische, inflationsgebundene Anleihen könnten angesichts der niedrigen Inflationserwartungen (30 Basispunkte günstiger als vergleichbare Anleihen) zusätzliche Chancen bieten. Mit der Wiederaufnahme der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank erwarten wir, dass die Prämien niedrig bleiben sollten. Auf dieser Basis bleiben Euro-Unternehmensanleihen attraktiv.
 

  • Aktien
     

Der italienische Aktienmarkt hat 2019 stark aufgeholt, liegt aber noch hinter dem Eurostoxx (zwölfmonatiges Kursgewinnverhältnis von 12:1 gegenüber 14:1 beim Eurostoxx). Die Rally hatte dank der Nachrichten, dass das italienische Parlament die politische Krise schnell lösen konnte, noch einmal Fahrt aufgenommen. Es ist zwar noch zu früh, um vorherzusagen, was das Haushaltsgesetz bringen könnte, aber die erste Reaktion der Investoren ging dahin, von einer proeuropäischeren Haltung auszugehen.

Es war die Demokratische Partei, die das sogenannte PIR-Gesetz eingeführt hatte, das „Piani Individuali di risparmio“, ein individuelles Sparplangesetz zur Förderung von Investitionen in kleine und mittlere italienische Unternehmen (KMUs), die seit 2016 mehr als 20 Milliarden Euro an Zuflüssen erwirtschaftet haben.

Da die Demokratische Partei nun wieder an der Regierung ist, könnte es in diesem Zusammenhang möglicherweise Pläne für weitere Anreize geben. Sollte das der Fall sein, könnte dies insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen zu neuen Börsengängen führen und der Realwirtschaft in einer Zeit, in der die Banken Bilanzbeschränkungen bei der Kreditvergabe haben, helfen.

Italienische Unternehmen sind auch für Investoren mit ESG-Fokus interessant. Die Large Caps sind besser strukturiert und haben vor einigen Jahren begonnen, Transparenz hinsichtlich ESG zu schaffen.

Anders im KMU-Segment: Die Unternehmen müssen die Bedeutung von ESG-Aspekten verstehen und an der Kommunikation und Transparenz ihrer internen ESG-Arbeit arbeiten. KMUs öffnen sich dafür, ESG-Ziele zu diskutieren und mit ihren wirtschaftlichen Zielen zu verknüpfen. Im Bereich Governance ist die Entwicklung bereits konkreter: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der unabhängigen Mitglieder in Aufsichtsräten und Vorständen kontinuierlich gestiegen.
 

  • Multi Asset
     

Italienische Staatsanleihen gehören in Europa zu den Anleihen, die positive Renditen bieten. Die Fundamentdaten der Unternehmen sind nach wie vor solide und ohne übermäßige Verschuldung. Die jüngste Ankündigung der EZB bezüglich weiterer Lockerungen wird in diesem Zusammenhang für einen zusätzlichen Schub sorgen.

Auf der Aktienseite ist die Beurteilung derzeit schwieriger. Europäische Aktien sind aus Bewertungssicht im Vergleich zu anderen entwickelten Märkten wie den USA chancenreich, insbesondere italienische Aktien. Betrachtet man die Zusammensetzung der Erträge italienischer Unternehmen im MSCI Italy, so zeigt sich, dass mehr als die Hälfe aus dem Ausland stammen. Dies macht den Markt sehr empfindlich gegenüber dem internationalen Umfeld.

Sollte es zu einer Beruhigung der Handelsspannungen und einer leichten Erholung des Welthandels kommen, dürfte sich dies positiv auf den Markt auswirken. Kurzfristig halten wir ein Handelsabkommen jedoch für unwahrscheinlich, ebenso erscheint aber auch das Risiko, das sich der Handelskonflikt nach Europa ausweitet, unwahrscheinlich. Der Automobilsektor hat in Italien ein Gewicht von etwa zwölf Prozent, was vor dem Hintergrund der Handelsspannungen zu berücksichtigen ist. Dies erklärt, warum wir bei der Abwägung Aktien oder Anleihen bei italienischen Vermögenswerten vorsichtig sind.

Was europäischen Aktien betrifft, so wird das Umfeld im Großen und Ganzen immer noch negativ von der politischen Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Brexit beeinflusst, vor allem aber von den Auswirkungen des Handelskonflikts auf die europäische Wirtschaft und die Stimmung der Anleger. Deshalb sind wir derzeit auch auf diesem Gebiet vorsichtig. Ein Anreiz für den Markt wäre ein starker fiskalischer Impuls zum Ausgleich einer Verlangsamung der Produktion und des Handelswachstums. Eine Kombination von Aspekten dieser beiden Faktoren könnte sich irgendwann, möglicherweise in den nächsten Quartalen, ergeben.

Alles in allem gehen wir europäische Investitionen also lieber über die Kreditmärkte als über die Aktienmärkte an. In Bezug auf Italien bevorzugen wir Staatsanleihen vor Aktien. Angesichts der anhaltenden Unsicherheit hinsichtlich der weiteren konjunkturellen Entwicklung Europas, aber auch möglicher positiver Überraschungen in der näheren Zukunft, halten wir uns beweglich: Wir versuchen, uns schnell anzupassen, wenn wir im Marktumfeld Signale zu Veränderungen sehen.

Rechtliche Hinweise: Soweit nicht anders angegeben, beruhen die hier enthaltenen Ansichten auf Recherchen, Berechnungen und Informationen von Amundi Asset Management und haben den Stand 17.09.2019. Diese Ansichten können sich jederzeit ändern, abhängig von wirtschaftlichen und anderen Rahmenbedingungen. Es gibt keine Gewähr, dass sich Länder, Märkte oder Branchen wie erwartet entwickeln werden. Diese Veröffentlichung ist kein Verkaufsprospekt und stellt kein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Anteilen in Ländern dar, in denen ein solches Angebot nicht rechtmäßig wäre. Außerdem stellt diese Veröffentlichung kein solches Angebot an Personen dar, an die es nach der jeweils anwendbaren Gesetzgebung nicht abgegeben werden darf. Amundi Deutschland GmbH ist ein Unternehmen der Amundi Gruppe.