Die große Loslösung der Märkte von der Realität

Dienstag, 02. Juni 2020

Marktkommentar

Die große Loslösung der Märkte von der Realität


Das Missverhältnis zwischen Markthoffnungen und wirtschaftlicher und pandemischer Realität bestätigt unsere Überzeugung, dass dies eine Zeit ist, in der man vorsichtig bleiben sollte: Man sollte nicht den „Bullen“ (steigende Märkte) nachjagen, sondern schrittweise und selektiv auf Anlagethemen setzen, die besser auf einen langsamen Weg der Erholung ausgerichtet sind. 

 

 

Wo wir in der Krise stehen

Der Gegensatz zwischen der trügerischen Marktruhe und der hohen Unsicherheit, was die Dauer der Krise und ihre langfristigen Auswirkungen betrifft, ist auffallend. Unserer Ansicht nach sind noch längst nicht alle Turbulenzen ausgestanden und Anleger sollten wachsam bleiben, da das aktuelle Marktniveau offenbar immer noch ein zu gutes und zu schnelles Ende der Krise einpreist.

 Das „Rennen“ zwischen den folgenden drei Zyklen setzt sich weiter fort:

Im Pandemiezyklus haben sich die Märkte offensichtlich darauf verlassen, dass das Schlimmste in Europa und den USA hinter uns liegen könnte, mit zunehmenden Erwartungen an eine Abflachung der Ansteckungskurve. Wenn sich diese Hoffnungen nicht wie erwartet erfüllen, könnten die Marktspannungen wieder auftauchen.

Was die Wirtschaft betrifft, sind die enormen fiskalischen und monetären Maßnahmen wie eine Versicherungspolice für die nächsten sechs Monate. Sollte sich die Rezession jedoch als schlimmer als erwartet herausstellen, dürften die Märkte – salopp gesagt – mehr brauchen, und jede Enttäuschung könnte eine Korrektur auslösen. Die Marktbedingungen haben sich verbessert, aber nicht normalisiert.

Beim Zyklus der Unternehmensausfälle, der – wie wir meinen – entscheidend ist in einer Welt, in der es nach dem Rückgang der Covid-19-Krise noch mehr Schulden geben wird, haben die Märkte offenbar bereits eine erste Runde von Ausfällen eingepreist, jedoch nach unserer Auffassung keine zweite für solche Vermögenswerte, bei denen die Entwicklung traditionell langsamer verläuft. Der Kampf zwischen Liquidität und Zahlungsfähigkeit sollte sich fortsetzen.

Das Missverhältnis zwischen Markthoffnungen und wirtschaftlicher und pandemischer Realität bestätigt unsere Überzeugung, dass dies eine Zeit ist, in der man unserer Meinung nach vorsichtig bleiben sollte: Man sollte nicht den „Bullen“ (steigende Märkte) nachjagen, sondern schrittweise und selektiv auf Anlagethemen setzen, die besser auf einen langsamen Weg der Erholung ausgerichtet sind.

Neben den Unsicherheiten in den drei oben genannten Zyklen gibt es für uns noch weitere Gründe, vorsichtig zu bleiben: Das Hauptrisiko, das im Mai erneut eskalierte, war ein Wiederaufleben der Rivalität zwischen den USA und China inmitten des „Virus Blame Games“, also gegenseitiger Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus. Zweitens ist das Ergebnis der US-Wahlen ungewiss. Drittens sind Schwellenländer hohen länderspezifischen Risiken ausgesetzt (vor allem Brasilien). Schlussendlich sind die möglichen langfristigen Konsequenzen von Covid-19 – Rückgang des Welthandels, Neuausrichtung der Politik zugunsten des Arbeitsmarkts, Transformation von Geschäftsmodellen und Beschleunigung von Trends,
 z. B. Smart Working – komplex und sollten weiterhin genau beobachtet werden.

In den beispiellosen letzten drei Monaten lag unser Fokus auf zwei Zielen: einerseits investiertes Kapital vor dauerhaften Verlusten zu schützen und gleichzeitig Raum für neue Investitionsmöglichkeiten zu schaffen.

Wichtige Schlüsse für Investoren

Liquidität: Diese ist nach unserer Auffassung wichtig, um den Übergang von der tiefsten Phase der Krise zu einer ungewissen Erholung zu bewältigen. Die Krise hat deutlich gemacht, dass die Liquidität trotz der jüngsten Anzeichen einer Verbesserung ein wesentliches Kriterium für die Zusammenstellung von Portfolien sein sollte. Wir denken, dass man etwas Liquidität für defensive und auch für aggressive Strategien halten sollte, um sich in verschiedenen Marktbereichen neu positionieren zu können, wenn sich Chancen ergeben.

Unternehmensanleihen hoher Bonität (Investment Grade Rating): Dieses Segment könnte von den Maßnahmen der Zentralbanken profitieren. Man sollte aus unserer Sicht jedoch auf Branchen- und Unternehmensebene sehr selektiv bleiben und sich auf gute Bilanzen und Unternehmen konzentrieren, die dem wirtschaftlichen „Lockdown“ – also dem kompletten Herunterfahren – möglichst standhalten können.

Aktien: Das Aktienrisiko sollte vor dem Hintergrund weiterer Revisionen des Gewinnwachstums der Unternehmen sehr vorsichtig beurteilt werden: Jeder Auslöser für deutliche Verbesserungen muss aus unserer Sicht von einem Impfstoff oder einer möglichen Behandlung kommen, da nur diese Faktoren eine dauerhafte Erholung und eine positive Veränderung des Konsumentenverhaltens auslösen können.

Schwellenländer: Angesichts der steigenden geopolitischen Risiken ist Vorsicht bei den Emerging Markets geboten, Chancen könnten sich hier bei Unternehmensanleihen und bei asiatischen und chinesischen Aktien bieten. Jedoch ist die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und den USA unseres Erachtens von entscheidender Bedeutung, denn die jüngsten Spannungen könnten die Marktstimmung beeinträchtigen. Der Unternehmensanleihenmarkt preist offenbar seinen massiven Anstieg der Ausfälle ein, aber man sollte bedenken, dass viele der problematischen Fälle bereits auf ihre im Fall eines Ausfalls zu erwartenden Erlöse zurückgegangen sind und einige derzeit sogar umstrukturiert werden. Anleger sollten jene Unternehmen identifizieren, die erfolgreich einen Plan erstellen können, um aus der Notlage herauszukommen.

Verantwortungsvolles Investieren (ESG): Covid-19 sollte zu einer wachsenden Bedeutung dieses Themas führen. Das Kürzel ESG steht für Ecology (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung). Während „E“ und „G“ nach unserer Meinung weiterhin ganz oben auf der Prioritätenliste stehen, dürfte der gesellschaftliche Fokus auf höhere soziale Gleichstellung, faire Behandlung der Arbeitnehmer und Sorge um deren Gesundheit auch die wachsende Bedeutung der „S“-Komponente untermauern. Die Art und Weise, wie Unternehmen im Interesse aller Beteiligten und der Gemeinschaft handeln, wird von den Investoren wohl eingehender hinterfragt werden. Dies dürfte nach unserer Auffassung zu einer stärkeren Auswirkung diverser ESG-Faktoren auf die Aktienkurse führen – was wiederum aktiven Managern Chancen bieten sollte, und zwar sowohl im Aktien- als auch im Anleihebereich. 

Rechtliche Hinweise: Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 25.05.2020. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.